Es gibt noch Naturwunder in Deutschland: Mitten durch unser Land zieht sich von der Ostsee bis zum Fichtelgebirge ein 1.380 Kilometer langes Grünes Band, mal nur 50 m breit, mal auch 200. Eine Perlenkette wertvollster Biotope, einzigartiger Rückzugsraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten: die Brachflächen der ehemaligen innerdeutschen Grenzanlagen.
Die unmenschliche Grenze gab dort der Natur eine 30jährige Atempause. Und die Natur nutzte sie. Es entwickelte such etwas, was in unserer intensiv genutzten Landschaft so selten geworden ist: ein Stück Wildnis mit großartigen Altgrasfluren, Busch- und Waldparadiesen, Sümpfen und blühende Heiden - ein buntes Mosaik vielfältiger Lebensräume.
Nach der Wende, als man den einstigen "Todesstreifen" wieder ohne Lebensgefahr betreten konnte, fanden Wissenschaftler hier eine Fülle teils sehr seltene Arten. Allein im südlichen Bereich zum Beispiel 130 Vogelarten, darunter 30 "Rote-Listen"-Vertreter wie Braunkehlchen, Schwarzstorch, Birkhuhn, Ziegenmelker oder Raubwürger. Sie haben hier Ruhezonen, die in der intensiv genutzten Agrarlandschaft meist fehlen.
Zusammen mit diesen Vogelarten sind Hunderte von weiteren Tier- und Pflanzenarten der "Roten-Liste" im Grünen Band heimisch. Es ist eines der größten und sicher das "längste Biotop Deutschland". Bundesweit sind deshalb in seinem Bereich über 200 neue Naturschutzgebiete ausgewiesen.
Der überragende ökologische Wert des Grenzstreifens lässt sich aber nicht allein aus der zahl seiner "Rote-Liste"-Arten ablesen. Das Geheimnis seiner Bedeutung liegt darin, dass dieses Band ununterbrochen ist, dass die Perlen dieser 1400 km langen Biotopkette zusammen hängen. Dieser Biotopverbund durchquert von den Jungmoränen Schleswig-Holsteins bis zu den bayrischen Mittelgebirgen eine Vielzahl von Naturräumen und verbindet so über neun Bundesländer hinweg Lebensräume, die sonst in unserer Kulturlandschaft nicht mehr verbunden sind: z.B. Altgrasbrachen mit Feuchtgebieten oder Trockenrasen mit Altholzbeständen. Gerade die enge Verzahnung unterschiedlichster Pflanzengesellschaften und Biotoptypen führt zu einem besonders großen Reichtum.
Es geht also um mehr als den isolierten Schutz einzelner Teile des Grünen Bandes. So wie der Wald "mehr ist als die Summe seiner Bäume", erhalten die Teilstücke des Grünen Bandes ihre Bedeutung erst dadurch, dass sie nicht einzeln über das Land verstreut sind, sondern eng miteinander verbunden. Unsere Aufgabe ist es daher, dieses Band, dieses Netz vollständig zu erhalten und uns nicht mit der Bewahrung einiger Teile zu begnügen.
Wer das Grüne Band zum ersten mal erblickt, wird ein grünbraunes Grasland sehen, Büsche und Bäume, zugewachsene Betonplatten, er wird vielleicht unbekannte Blüten riechen und welkes Laub rascheln hören - und der erste Eindruck ist: Ein Stück Wildnis!
Lässt man die Natur wirklich für längere Zeit in Ruhe, so bringt sie nach ihren eigenen Gesetzen harmonische Landschaften hervor, eben: Wildnis. Wildnis, die wir sich selbst überlassen, Wildnis, die wir wachsen lassen, Wildnis, zu der wir uns bekennen sollten. Weil sie auch ein Stück von uns selbst ist.
Wer den Mut zur Wildnis hat, der erlebt vielleicht auch den seltsamen stillen Zauber dieser Landschaft.
Schwarzstorch und Fischotter: Kostbarkeiten in den vergessenen Winkeln des Bandes.
Der frühere Grenzstreifen als großes Naturschutzgebiet - diese faszinierende Idee entstand bereits 1989, in den bewegenden Tagen der Wende. Engagierte Bürger, Politiker, Fachbehörden und Naturschutzverbände schufen das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt. Sie kartierten Tiere und Pflanzen des Grünen Bandes, informierten die Öffentlichkeit und legten die Grundlagen für neue Schutzgebiete.
Seit 1990 fand das Projekt breite Unterstützung auch bei allen führenden Umweltpolitikern Deutschlands. Im Europäischen Naturschutzjahr 1995 wurde es von Bundespräsident Roman Herzog als besonders modellhaftes Projekt ausgezeichnet, und eine Konferenz aller deutscher Umweltminister stellte sich einstimmig hinter die Schutzidee "Grünes Band": Es sei "die Grundlage für einen länderübergreifenden, großräumigen Biotopverbund und ökologisch besonders bedeutsam". Auch das Bundesumweltministerium will sich "weiterhin nachhaltig für den Schutz des Grünen Bandes einsetzen", um "dieses einmalige Naturreichtümer zu erhalten".
Ein kurzer Ausschnitt aus:
Bund Naturschutz in Bayern e.V., Landesfachgeschäftsstelle Projekt "Das Grüne Band" (1997): Das Grüne Band. Lebenslinie Todesstreifen. Zugriff am 13.10.2021 https://www.oekologische-bildungsstaette.de/archiv/sl/sl8.pdf